Vorgeschichte

Nein, ich war nicht der Knabe, der im Kindesalter den Wunschtraum hatte, eines Tages Polizist zu werden. Hätte man mich ein halbes Jahr vor dem Eintritt in die Polizeischule gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, diesen Berufsweg zu wählen, hätte ich sicherlich verneint.

Die schulischen Leistungen hielten sich in engen Grenzen und erst nach Abbruch des Gymnasiums schien sich eine Veränderung und Verbesserung, nach Ergreifung einer Lehre als Bürokaufmann, einzustellen. Durch ein Zeitungsinserat zu Beginn der 80er Jahre wurde ich mit der Personalsuche der Bundespolizeidirektion Wien konfrontiert. Der Rest ist schnell erzählt: Ich absolvierte die damals noch 18monatige Ausbildung in der Klasse 8/82 und legte im Herbst 1983 in der Prüfungskommission, der auch Oberstleutnant SCHERERBAUER angehörte, die Dienstprüfung ab.

Mein Weg führte mich vorerst in das Kommissariat Simmering, wo ich unmittelbar nach Zuweisung vielleicht auch durch eine vorschnelle Äußerung mir die Mißgunst des Abteilungskommandanten zuzog und folglich in ein Wachzimmer, das im Nahbereich des Zentralfriedhofes lag, versetzt wurde. Der Grund der Versetzung war zwar nicht als solcher seitens des Kommandanten deklariert worden, aber lag dennoch auf der Hand. Bei regelmäßig abgehaltenen, sich als Abteilungsschulung bezeichneten Zusammenkünften der Kollegenschaft, in der beispielsweise neueste juristische Erkenntnisse vorgetragen wurden, kommen die Kräfte des ganzen Bezirkes zusammen. Auch werden Besonderheiten in sicherheitspolizeilicher Sicht auf Bezirksebene dabei erörtert. Die Abteilungsschulungen liefen nicht in militärischer Ordnung, sondern in normalen gesellschaftlichen Umgangsgepflogenheiten ab. Der Vortragende, zumeist der Abteilungskommandant, steht in einem Raum und die Mannschaft sitzt und hört, entsprechend des Inhaltes, mit mehr oder weniger Aufmerksamkeit zu. Zwischen den Sachpunkten kam es zu offenen Gesprächsrunden, die auch andere Inhalte behandelten. Jedenfalls erzählte der Abteilungskommandant aus seiner Anfangszeit im Polizeidienst und berichtete von den Gegebenheiten, wie er Polizeioffizier wurde. Er schilderte minutiös, daß seine Eltern jemanden kannten und letztlich kam bei dem Gespräch heraus, daß er seinen Status als Offizier durch Protegierung erhielt. Ich hatte keine bösen Absichten und meldete mich eigentlich spontan zu Wort und brachte zum Ausdruck, daß dies doch „nicht dem entspreche“, was sich „die neue Generation vorstelle“. Die Leistung solle zählen und nicht, ob man jemanden kennt. Ich war mit meinen kurzen Ausführungen noch nicht ganz zu Ende, als eine Mischung von vereinzeltem Händeklatschen, Raunen und Auflachen durch den Raum ging. Dem Kommandanten konnte man am Gesichtsausdruck ansehen, was er von meinem Kommentar hielt. Jetzt schmunzle ich darüber. Aber als ich damals meinen Dienst am neu zugewiesenen Wachzimmer antrat, in das er mich in Folge versetzte, war das Erste, was mir der neue Dienstführende zeigte, wie er das Mischungsverhältnis seines „weißen Spritzers“ haben wollte. Da war es nach modernen Sprachgebrauch formuliert: „Schluß mit Lustig“ – wir brachten es zu keiner „Verbrüderung“. Bei nächster Gelegenheit reichte ich mein Versetzungsgesuch mit Zielort Alarmabteilung ein. In den darauf folgenden Jahren sollte ich zwar, vielleicht wegen meiner persönlichen Art und Einstellung, immer wieder bei solchen Gegebenheiten anecken, jedoch wurde die fachliche Kompetenz, was Gesetzeskunde und das Verfassen von Meldungen betraf, geschätzt. Was das als „Anecken“ umschriebene betrifft, so habe ich eine Eigenart, die mir von jeher bewußt war und auch noch ist. Es gab zwei wesentliche Punkte, an denen sich im Grunde nichts geändert hat. Das eine Thema ist Alkohol im Dienst, und was vielleicht gerade in einem doch militärisch geordneten System von wesentlicher Bedeutung ist, daß „Rang“ vor Allem steht.

Ich begegnete Menschen, die offensichtlich über das Maß hinaus Alkoholika zu sich genommen hatten, mit Verachtung. Dies sollte sich Jahre später nach meinem Wiedereintritt wiederholen. Nun, und was es mit dem Dienstrang zu tun hat, so sollte dieser auch mit Kompetenz und Wissen einhergehen. Das war aber nicht immer zutreffend und wenn gegebenenfalls ein Ranghöherer in unrichtiger Einschätzung unter Zuhilfenahme seines Ranges auf die Durchführung von Maßnahmen pochte, dann konnte es schon sein, daß man die Grenzen des Systems abzuschreiten begann. Aber ich war gerne Polizist und das, was mich faszinierte, war der Umgang mit den unterschiedlichsten Menschen und die Vielfalt der Aufgaben die sich einem stellten. Mit jeder Amtshandlung, der Art der Durchführung, ist man in der Lage, Feindbilder des Bürgers mit dem man es zu tun hat, zu verstärken oder zu widerlegen. Man hat ein sehr großes Spektrum an Möglichkeiten, aus dem man wählen kann, und bewußt oder unbewußt steuert man den Verlauf des menschlichen Zusammentreffens. So ließ ich auch keine Möglichkeiten aus, um dienstintern oder extern meine Fähigkeiten zu intensivieren und auszubauen.

Alarmabteilung - spätere WEGAWährend all der Jahre, die vergangen sind, denke ich gern an die Zeit in der ich mit meinem damaligen Partner am Sektor 5 gemeinsam Dienst versah. Kein Film kann dies einem Zuschauer vermitteln, was in der Realität wir beide als Kollegen inhaltlich teilten. Dann folgte eine Ausbildung für die Einsatzgruppe zur Bekämpfung der Suchtgiftkriminalität (EBS – Bundesministerium für Inneres), die auch zu einem Teil von Angehörigen des amerikanischen Justizministerium, der DEA, durchgeführt wurde. Nach mehrmonatigem Einsatz bei der EBS kehrte ich zur Alarmabteilung zurück. Unmittelbar nach Rückkehr kam es zu dem dubiosen Vorfall, wo ein volltrunkener Kollege, der ein Kapitel für sich selbst darstellte, wie ein Wahnsinniger mit dem Sturmgewehr um sich schoß. Nach der EBS schien die Alarmabteilung nicht mehr der richtige Aufenthaltsort für mich zu sein und so ersuchte um Versetzung zur Technischen Verkehrsüberwachungsgruppe, bei der ich einige Jahre, bis zu meinem freiwilligen Austritt 1992, verblieb. Selbst in dieser Sonderabteilung der Verkehrspolizei war es möglich, zahlreiche, vom eigentlichen inhaltlichen Arbeitsauftrag der Verkehrssicherheit abweichende, sicherheitspolizeiliche Fälle aufzugreifen und positiv abzuschließen. Dort oftmals gemeinsam mit einem Kollegen, der couragiert am gleichen Strang ziehend, seinen Dienst versah. Unser Wachkommandant gab uns stets Rückendeckung, auch wenn dies nicht immer einfach für ihn war. Er schaffte den Brückenschlag zwischen – Vorgesetzten, Kollegen und Freund – ohne dabei an Achtung, Respekt und Ansehen einzubüßen.

1990 wurde ich als Angehöriger einer unabhängigen Bürgerliste mit einem klar definierten Arbeitsauftrag als Umweltgemeinderat in die kommunale Stadtvertretung einer niederösterreichischen Kleinstadt gewählt. 1991 machte ich mich, nachdem ich zwei Lehrbefähigungen zuvor erlangte, selbständig. Zahlreiche Auslandseinsätze für eine karitativ tätige Organisation, Sozialprojekte sowie in der Jugendarbeit tätig, gelangte ich an die Grenzen meiner zeitlichen Möglichkeiten, sodaß ich mich nach 10 Jahren Polizeidienst dazu entschloß, freiwillig aus dem Dienst zu scheiden.